Mit Gretel durch die Corona Krise
Das Interview wurde geführt von Lisa Kern
Hallo Florian, Hallo Julia, schön, dass es so kurzfristig geklappt hat!
Hallo, ja sehr gerne!
Am Wochenende habt ihr zusammen mit Studierenden und Mitarbeitern der HfG am Hackathon der Bundesregierung teilgenommen – was war denn euer erster Gedanke, als ihr von der Aktion gehört habt?
Mein erster Gedanke war: „Verdammt, wir sind zu spät!“ Denn Prof. Michael Schuster und ich hatten uns in der Woche davor ein ähnliches Konzept überlegt, nur HfG-intern. Dafür hatten wir auch schon relativ viel vorbereitet – wir haben dann beschlossen, uns einfach an den Hackathon der Bundesregierung anzuschließen. Wir haben uns auch gefreut und schlussendlich hatten wir einen sehr erfolgreichen Hackathon.
Bei mir war das etwas anders, denn ich bin erst mitten im Projekt zum Team dazu gestoßen. Am zweiten Tag war das, glaube ich. Davor hatte ich die Mails von Florian schon mitbekommen und ihm auch schon meine Hilfe dafür angeboten.
Ich habe schon gehört, dass es eine Slack Gruppe an der HfG gibt, in der in nächster Zeit einige Projekte angegangen werden sollen, könnt ihr uns darüber etwas erzählen?
Genau, es gibt einen Slack Workspace, den wir eigentlich für das Wochenende, für das HfG-interne Projekt angelegt hatten. Momentan heißt dieser Workspace noch „HfG hacks Corona“, dort soll in nächster Zeit einiges passieren. Es gibt beispielsweise einen Channel, der heißt „Next Hackathon“. Wir wollen das Ganze auf jeden Fall noch einmal wiederholen, vielleicht auch kontinuierlich anbieten. Gerade sind wir dabei zu überlegen, was Themen und Formate sein könnten. Reine Remote-Hackathons sind auf jeden Fall eine Herausforderung – aber wir hoffen natürlich auch, dass wir nicht auf ewig in unseren Wohnungen eingesperrt sind. Dann wird es so etwas auch hoffentlich bald vor Ort und in live geben. Ich hatte das tatsächlich schon länger geplant, dass es so schnell geht, hatte ich nicht geahnt. Aber, dass es weitergeht – da bin ich mir ziemlich sicher. Alle Beteiligten sind motiviert, das Projekt weiter zu führen, und wir bekommen viel Unterstützung. Wir halten euch natürlich auf dem Laufenden.
Das Thema „New Work“ kam ja in letzter Zeit stark auf und wir wurden da ja auch alle etwas ins kalte Wasser geworfen. Trotzdem funktioniert Remote Zusammenarbeit ja ziemlich gut – könntet ihr euch vorstellen, dass solche Projekte zukünftig bspw. in den Semesterferien stattfinden könnten?
Von meiner Seite – gerne. Generell muss sich das ja auch nicht auf die Semesterferien beschränken. Neben dem Chaos, das wir momentan durch die ganze „Zwangsdigitalisierung“ haben, sehe ich auch viele Chancen und Möglichkeiten, die wir bisher nicht hatten. Mittwochsseminare oder Gastvorträge von Menschen, die überall auf der Welt verteilt sind, beispielsweise. Auf einen Schlag sind digitale Lösungen plötzlich da und machen vieles möglich. Auch in den Semesterferien, wenn alle zuhause sind oder vielleicht im Ausland, ergeben sich Möglichkeiten, mal an einem Wochenende einen Hackathon zu starten. Zu einem gewissen Grad haben wir das über Slack Workspaces auch schon gemacht, gerade im Studiengang Internet of Things (IoT).
Auf einen Schlag sind digitale Lösungen plötzlich da und machen vieles möglich.
Mir geht es genauso. Ich konnte mir erst gar nicht vorstellen, dass man Gestaltungsprojekte über eine Remote-Zusammenarbeit gut bearbeiten kann. In der Hinsicht bin ich aufgrund meiner Abschlussarbeit eine kleine Digitalisierungs-Skeptikerin. Auch durch meinen späteren Einstieg ins Projekt hatte ich zunächst Sorge, ob ich mich in der kurzen Zeit noch in das bereits bestehende Team und die bestehende Infrastruktur einfügen kann. Ich habe mich dann aber schnell eingefunden und ich könnte mir gut vorstellen, dass damit auch ähnliche Projekte zukünftig durchgeführt werden könnten. Spannend wäre auszureizen, wie weit man mit digitalen Tools gehen kann. Ob man zum Beispiel auch Dinge wie einen Buchbindeworkshop digital machen kann. Das konnte ich mir bisher gar nicht vorstellen und wäre jetzt offen, das auszuprobieren.
War es für euch ein Vorteil, mit der digitalen Zusammenarbeit etwas ins kalte Wasser geworfen zu werden? Was waren aus eurer Sicht die größten Vorteile der digitalen Zusammenarbeit?
Es gibt viele Vor- und Nachteile. Dass wir ins kalte Wasser geworfen wurden, hing auch mit der Kurzfristigkeit des Projektes zusammen. Wir fingen Freitagabend um 18:00 Uhr an und Sonntagabend um 18:00 Uhr war die offizielle Abgabe. Da fallen Diskussionen darum, welche Tools genutzt werden, einfach weg. Wir haben spontan eine Infrastruktur hochgezogen und mit dieser haben wir dann gearbeitet. Eigentlich haben wir in dieser Hinsicht aber gute spontane Entscheidungen getroffen, wie ich finde. Ein großer Vorteil ist natürlich der: Man sitzt in seinen eigenen vier Wänden, mit der Jogginghose und der Kaffeetasse auf dem Tisch – dadurch entstand natürlich eine ganz entspannte, inoffizielle Atmosphäre. Die Barrieren sind gefallen und man ist sich auf Augenhöhe begegnet, was sehr schön war. Der andere Vorteil war, dass wir es geschafft haben, während des Lock-Downs einen sozialen Raum zu schaffen. Es waren über die gesamte Zeit immer 16 bis 20 Leute in diesem Raum und haben Input gegeben. Am Ende haben wir auch über alltägliches geredet, haben einen eigenen kleinen Radiosender hochgezogen und dieselbe Musik gehört – der Kontakt zueinander ist in dieser Zeit auch schon sehr viel wert. Wir waren im Prinzip in der virtuellen Kneipe!
Man sitzt in seinen eigenen vier Wänden, mit der Jogginghose und der Kaffeetasse auf dem Tisch – dadurch entstand natürlich eine ganz entspannte, inoffizielle Atmosphäre. Die Barrieren sind gefallen und man ist sich auf Augenhöhe begegnet, was sehr schön war.
Ich habe das eben schon herausgehört: Hattet ihr das Gefühl, dass das digitale Zusammenkommen Hürden zwischen Professoren und Studierenden beseitigen konnte?
Ich hatte den Eindruck, dass die „Grenzen“ zwischen Professoren und Studierenden aufgelöst wurden. Es war wirklich ein „Peer-to-Peer“ Arbeiten und kein „Top-Down“ Arbeiten. Es war nicht wie in der Vorlesung, sondern die ProfessorInnen waren „mitten drin“, mit dabei, genauso wie die Studierenden.
Wie habt ihr euch als Gruppe für den Hackathon organisiert, welche Dienste waren dabei besonders hilfreich?
Zunächst waren wir gar nicht wirklich organisiert. Bei Hackathons hat man die Chance, dass das von alleine passiert oder sich einfach ergibt. Das ist auch diesmal passiert und das war ganz schön – denn jede/r brachte gewisse Kompetenzen mit und jede/r wusste was er/sie kann oder nicht kann. Wenn es eine Aufgabe zu vergeben gab, war dann immer relativ schnell klar, wer sie übernimmt. In der Konzeption für die Projekte haben wir alle noch zusammengearbeitet. Danach haben wir uns auf unsere Stärken in den einzelnen Projekten konzentriert. Am Ende waren wir also relativ klassisch organisiert, wie man das von Gestaltungsprojekten auch kennt: die Aufgaben wurden dann je nach Disziplin und nach Können verteilt, interessanterweise nicht nach Studiengang.
Die Aufgaben wurden dann je nach Disziplin und nach Können verteilt, interessanterweise nicht nach Studiengang.
Wer war im Team und wie habt ihr euch ergänzt?
Es war sehr breit gefächert: Im Hackathon waren alle Studiengänge und verschiedene Semester vertreten. Auch viele Absolventen haben mitgemacht, was uns sehr gefreut hat. Auch Externe, bspw. von der HdM in Stuttgart haben teilgenommen. Es waren Akademische Mitarbeiter und Assistenten mit dabei, von den ProfessorInnen waren Michael Schuster, Carmen Hartmann-Menzel, Hartmut Bohnacker und ich dabei. Ich bin in einer Vertretungsprofessur in IoT an der HfG, dort bin ich hauptsächlich für technologische Anteile in der Lehre verantwortlich. Auch in der Interaktionsgestaltung war ich schon in einer Vertretungsprofessur tätig. Eigentlich bin ich studierter Medieninformatiker.
Vom Hackathon der Bundesregierung gab es außerdem einen großen Slack-Workspace, mit dem wir über das Projekt in Kontakt waren. Allerdings war das Interesse an der Aktion so groß, dass das schnell unübersichtlich wurde. Die Gruppen haben sich am Ende, für die über 2.000 Projekte, die beim Hackathon entstanden sind, größtenteils dezentral organisiert. Wir haben den Workspace, den wir ja schon hatten, einfach weiter genutzt.
Es war sehr breit gefächert: Im Hackathon waren alle Studiengänge und verschiedene Semester vertreten. Auch viele Absolventen haben mitgemacht, was uns sehr gefreut hat.
Ihr habt das Projekt Gretel konzipiert und gestaltet – warum habt ihr euch für genau diese Thematik entschieden und wie hat euch eure Expertise als Gestalter geholfen, für dieses konkrete Problem eine Lösung zu finden?
Zu Beginn des Projektes haben wir viele Ideen gesammelt und haben im Zuge der Recherche bemerkt, dass die Problematik der Infektionskette momentan ein sehr wichtiges und spannendes Thema ist. Unsere Annahme war, dass die diffuse Angst, sich anzustecken, sich durch ein Sichtbarmachen der Infektionskette vielleicht lindern ließe. In diese Richtung ist ja auch schon viel passiert, Stichwort: Telekommunikationsdatenübermittlung. Wir wollten uns das selbst anschauen und eine nutzerfreundlichere Lösung erarbeiten, die einem auch selbst die Wahl lässt. Im Konzept war außerdem vorgesehen, dass unsere Applikation eine Datenauswertung zulässt, die auch für künftige Forschungen genutzt werden könnte.
Die Übung und Erfahrung, die wir als Gestalter mit dieser Art von Projekten haben, hat natürlich dem Projekt sehr geholfen. Problemorientiertheit und Offenheit sind ebenfalls Eigenschaften, die uns vorangebracht haben. Durch die Art des Projektes war auch eine hohe Fehlertoleranz da. Dass diese Arbeitsweise studiengangsübergreifend gelehrt wird, hat man gemerkt, denn jeder spricht sozusagen die gleiche Sprache. Man könnte auch sagen, durch das interdisziplinäre Arbeiten war es für viele auch so eine Art Probe-Master. ;-)
Was nehmt ihr aus dieser Erfahrung für zukünftiges Zusammenarbeiten mit?
Ich bin positiv überrascht, wie gut Zusammenarbeit mit digitalen Tools funktioniert.
Ich vertrete die Meinung, dass man die Grenzen zwischen den Disziplinen mehr auflösen sollte. Dieses Wochenende ist für mich ein wunderbarer Beweis dafür, dass das Sinn macht und dass das funktioniert. Wir finden immer zu einer gemeinsamen Sprache und es ist auch ein Teil der Gestaltungskompetenz, sich in neue Probleme hinein zu denken und mit unterschiedlichen Disziplinen zusammen zu arbeiten.
Ich vertrete die Meinung, dass man die Grenzen zwischen den Disziplinen mehr auflösen sollte. Dieses Wochenende ist für mich ein wunderbarer Beweis dafür, dass das Sinn macht und dass das funktioniert.
Wollt ihr das Projekt weiterführen? Wie geht es weiter?
Es wird definitiv etwas passieren. Dominik Witzke ist in dieser Minute mit den Beteiligten anderer Projekte, die während des Hackathons ähnliche Themen bearbeitet haben. Dort wird besprochen, ob man möglicherweise kooperieren könnte. Wir wollen alle weitermachen, allerdings gibt es auch viele andere gute Projekte und Systeme zur Thematik und wir geben selbstverständlich der besten Lösung den Vorrang. Studierende können jederzeit gerne zum Slack Channel hinzustoßen. Dort gibt es News und man wird über die aktuelle Entwicklung auf dem Laufenden gehalten.
Wird es eine Rückmeldung von der Bundesregierung und den beteiligten Tech-Unternehmen geben?
Momentan läuft noch das Voting für die Projekte, welches entscheidend für das spätere Ranking ist. Dementsprechend wird da dann eine Rückmeldung der Bundesregierung kommen, denke ich. Was die Tech-Unternehmen angeht bin ich noch in Kontakt mit Amazon und Google, die auch während des Hackathons Ressourcen zur Verfügung gestellt haben. Von Amazon kam auch noch eine Nachfrage nach unserem Ergebnis und ob wir das Projekt weiterführen möchten, auch mit Unterstützung durch Amazon.
Das Interesse am Hackathon war ja sehr groß – Könntet ihr euch vorstellen, dass diese Art von Hackathons mehr in die Lehre an Gestaltungshochschulen integriert werden könnte?
Auf jeden Fall – wenn man sich den Master an der HfG anschaut, könnte so ein Format auch gut in die Lehre integriert werden, auch im Bachelor wäre es denkbar. Stellenweise passiert das ja auch schon. Ich denke Hackathons sind zwar ein extremes, aber auch vielseitiges Format, das man ausreizen könnte. Besonders geeignet fände ich es für Kooperationen, bspw. mit anderen Hochschulen. Der sehr dynamische Charakter lässt eine höhere Fehlertoleranz, Praktikabilität und Flexibilität zu.
Vielen Dank für das Gespräch!
Neben den zwei Tagen intensiver Arbeit während des Hackathons wurden wertvolle Erkenntnisse gesammelt, wie Projektarbeit im digitalen Raum fast wie bei persönlicher Zusammenarbeit klappen kann - nämlich ziemlich gut!
Gretel hilft Infektionsketten zu identifizieren und zu unterbrechen: Bewegungs- / Kontaktdaten werden aus einer digitalen App und analogen Scan-Stationen erhoben und passende Handlungsempfehlungen gegeben, falls “Risikokontakte” erfolgt sind. Hierbei liegt ein besonderer Fokus auf Einbindung der nicht-digitalen, älteren Risikogruppe über die analoge Komponente des Systems. Mehr Informationen: Gretel auf Devpost
Gretel ist ein Projekt von Prof. Florian Geiselhart, Prof. Carmen Hartmann-Menzel, Prof. Michael Schuster, Lisa Amann, Felix Arnold, Dominik Fink, Felix Häberle, Sven Löchner, Mario Rieker, Tobias Schmücker, Marius Schnabel, Luca Stetter, Vanessa Stöckel, Max Walter, Julia Wittich und Dominik Witzke.
Bilder und Texte von der Projektgruppe Gretel
Gretel hilft Infektionsketten zu identifizieren und zu unterbrechen.
2-Gather ist eine Plattform auf welcher terminierte Diskussionen, Veranstaltungen und Kurse im digitalen Raum organisiert werden können, um einen routinierten Alltag zu ermöglichen und Dienstanbieter zu unterstützen. Das Motto hier ist “Against Social Distancing” - dabei stehen die sozialen Interaktionen sowie das Knüpfen und Aufrechterhalten sozialer Kontakte im digitalen Raum im Vordergrund, die analog aktuell noch nicht möglich ist. Mehr Informationen: 2Gather auf Devpost
2-Gather ist ein Projekt von Josh Cornau, Sven Barth, Jonas Dunkel, Aileen Gedrat, Nikola John, Toni Wagner
Bilder und Texte von der Projektgruppe 2-Gather
Die Challenge von 2-Gather: Soziale Abschottung durch das Coronavirus minimieren, Dienstleistern ermöglichen, ihre Arbeit zu verrichten und Menschen dabei helfen, ihre Routinen beizubehalten.