Werteverfall

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Fotografie einer bemoosten Kirchen-Ruine, die hinter weißen Grabsteinen steht.
Fotografie eines Kirchenschiffs

Wir lassen die besten Artikel aus der FORMAT digital erneut aufleben und stellen euch heute den Artikel von Leon Beu vor. In der 24. Ausgabe unserer Schwester aus der Printwelt zeigt er in einer Fotostrecke eindrücklich, wie sich die Werteverschiebung auf Kirche als Ort und Institution auswirkt. Die Fotografien sind auf einer Reise durch das ehemalige Sudetenland – heute Tschechien – entstanden.

Die Kirche steht wie kaum eine andere Institution für Werte und das Einhalten dieser.

Seit der Aufklärung schrumpft die Rolle und der Einfluss der Kirche zunehmend. Einst fielen ihr nebst der Hütung und Verbreitung des Glaubens auch viele weitere Aufgaben zu. Man betreute politische Ämter, verwaltete den Staat und versorgte die BürgerInnen mit Bildung. Diese Aufgaben wurden mehr und mehr in staatliche Hand übertragen, die Kirche verlor ihre weltliche Essentialität.

Seit den 50er Jahren gibt es eine neue, anhaltende Welle an Kirchenaustritten. Während im Jahr 1950 nur 3,6% aller Deutschen konfessionslos waren, sind es mittlerweile 37% (Stand 2018) (1). Dieser schwindende Status geht an der Kirche und ihren Dependancen natürlich nicht spurlos vorüber. In ganz Europa stehen Kirchen leer.

Am meisten spitzt sich die Situation in Tschechien zu. Im ehemaligen Böhmen und Sudetenland stehen reihenweise Kirchen leer. Fährt man durch die kleinen Dörfer, die sich über die Hügellandschaft verteilen, findet man nur noch selten aktiv betriebene Gotteshäuser. Der größere Teil der Kirchen steht leer und ist baulich in einem miserablen Zustand.

Der Grund hierfür liegt in der Historie der Region. Nach 1945 wurden hier die Sudetendeutschen systematisch aus dem Land vertrieben. Ersetzt werden sollten sie mit TschechInnen und SlowakInnen aus dem Binnenland. Mit den Sudetendeutschen gingen auch die vorrangig deutschen Pfarrer. So entstand ein Pfarrermangel. Ein Großteil der Pfarrhäuser wurde nicht mehr besetzt, dementsprechend kümmerte sich bald auch niemand mehr um die Kirchen.

Nachdem diese Kirchen nun größtenteils über 60 Jahre leer standen, wird sich mittlerweile wieder um sie gekümmert. Das tschechische Denkmalamt hat ein Hilfsprogramm ins Leben gerufen. Ziel ist zunächst eine Grundsicherung aller Kirchen bis 2020. Grundsicherung bedeutet: Das Dach wird neu eingedeckt und abgedichtet. Zusätzlich werden die Fenster – falls zerschlagen – erneuert. Den Innenräumen der Kirchen will man sich erst zuwenden, wenn alle Kirchen grundgesichert sind. Bis dies geschieht, werden vermutlich auch die letzten Reste der einst prachtvoll verzierten Altäre verschwunden sein. Welchem Zweck die Kirchen nach der Renovierung dienen sollen, ist ebenso fraglich. Tschechien ist das Land der Atheisten. Über 70% der dort lebenden Menschen sind nicht gläubig (2).

Und mit der Kirche als lautester Hüter der ethischen Werte hat sich zeitgleich ein Hüter materieller Werte zurückgezogen. Dies zeigt sich langsamer und stiller, jedoch auch mit deutlich schwerwiegenderen Folgen.

Ich bin Leon Beu

Leon Beu

Name: Leon Beu

Alter: 27

Wohnort: Schwäbisch Gmünd

Beruf: Student

Hauptcharakterzug: Rational

Lieblingsschrift: NB International

Lieblingsfarbe: lautes Rot