Designer In Residence

Interview mit Simon Hettler, der an der HfG Schwäbisch Gmünd Produktgestaltung und Strategische Gestaltung studierte. Im Rahmen des "Designer In Residence" Stipendiums an der HfG Ulm beschäftigt sich Simon derzeit mit "AI Aided Design".

In dem Projektvorhaben „AI aided Design” soll der Frage nachgegangen werden, inwieweit eine Versachlichung der Gestaltungsarbeit innerhalb der Produktgestaltung durch den Einsatz neuer Technologien möglich ist. Dabei werden berechenbare Parameter in der Gestaltung bestimmt und auf Basis von Machine Learning Algorithmen, Programme entwickelt, die GestalterInnen im Gestaltungsprozess unterstützen.

Herbert Simon betrachtet in „The Architecture of Complexity.” ein Produkt als ein System, welches aus Subsystemen besteht, die wiederum aus Elementen bestehen. Folgt man dieser Betrachtungsweise, so stellt sich grundlegend die Frage: Inwieweit unterscheidet sich die Gestaltung eines Produktes von der Gestaltung eines beliebigen Systems? In Folge dessen bleibt offen, ob sich auf diese Weise nicht alle Gestaltungsaufgaben algorithmisch lösen lassen. Im Projekt „AI aided Design” soll nicht der unmögliche Weg eingeschlagen werden, schöpferisches Denken und Handeln vollständig zu algorithmisieren. Stattdessen sollen Potenziale und Effekte einer partiellen Algorithmisierung des Gestaltungsprozesses aufgezeigt werden.


“AI aided Design” zeigt auf, welche Einflüsse computergestützte Systeme und Maschinelles Lernen auf die Gestaltung haben können. Ein Bewusstsein darüber zu entwickeln, welche Aspekte der Gestaltung berechenbar sind und welche nicht, ist für DesignerInnen aller Subgenre wichtig. Es fördert die Beschreibbarkeit des eigenen Handelns und kann getroffene Entscheidungen innerhalb des Gestaltungsprozesses rechtfertigen.

Interview mit Simon Hettler
Lisa

Wie kamst du zu dem Entschluss, dich an der HfG Ulm für das Designer-In-Residence Stipendium zu bewerben?

Simon

In meiner Masterarbeit habe ich mich das erste Mal intensiver mit Forschung und speziell Designforschung beschäftigt. Der Titel der Masterarbeit war “DesignerInnen – potenzielle Tätigkeitsfelder in interdisziplinären Forschungsprojekten”, eine eher theoretische Arbeit. Zusammen mit meiner Projektpartnerin Yvonne Kümmel habe ich mich mit GestalterInnen beschäftigt. Wir haben dabei viele interessante Menschen kennen gelernt, bspw. DesignerInnen, die angewandte Weltraumforschung oder Materialforschung betreiben. Die Idee, dass wir als DesignerInnen durch unsere Arbeit neues Wissen schaffen, finde ich spannend. Zwar arbeiten wir nicht immer wissenschaftlich, trotzdem können wir forschend tätig sein. Ich hoffe, dieses Grundverständnis führt dazu, dass GestalterInnen in dieser Hinsicht selbstbewusster auftreten werden.

Die HfG Ulm war für mich immer ein besonderer Ort. Ich habe an der HfG Schwäbisch Gmünd Produktgestaltung studiert, dementsprechend war Ulm immer präsent, gerade was das Designverständnis angeht. Als ich die Ausschreibung für das Stipendium gesehen habe, habe ich mich relativ spontan beworben.

Die Idee, dass wir als DesignerInnen durch unsere Arbeit neues Wissen schaffen, finde ich spannend.

Lisa

Wie lief die Bewerbung ab? Wusstest du damals schon, dass du dich mit "AI aided Design" beschäftigen möchtest?

Simon

Ich habe mich mit einer Projektskizze zu „AI aided Design“ beworben. Die grundlegende Fragestellung hatte mich schon lange beschäftigt: In meinem Auslandssemester in Shanghai habe ich mich das erste Mal intensiver mit der Thematik Machine Learning und Fragen und Potenzialen rund um Künstliche Intelligenz (KI) beschäftigt. Im Zuge der Bewerbung für das Stipendium an der HfG Ulm fiel mir ein altes Notizheft in die Hände und ich dachte mir, dass dies nun ein geeigneter Zeitpunkt wäre, die Projekt-Idee anzugehen. Ich würde mich nicht als absoluten Experten im Gebiet Machine Learning bezeichnen, aber es gibt mittlerweile sehr gute Tools, die es DesignerInnen ermöglichen, Machine Learning Modelle für ihre Projekte zu verwenden, auch ohne coden zu müssen.

Lisa

Das Stipendium an der HfG Ulm bezieht sich auf den Designer Hans Gugelot, der als Wegbereiter des Systemdesigns gilt (1) – wie beziehst du diese Thematik in deine Arbeit mit ein?

Simon

Für mich stand bei der Ausschreibung der Begriff Systemdesign im Vordergrund, welches an der HfG Ulm unter Hans Gugelot geprägt wurde. Hier muss man zwischen dem Systemdesign-Begriff zu Zeiten von Hans Gugelot, also in den 50er und 60er-Jahren, und dem heutigen Verständnis dieses Begriffs unterscheiden. Ein Beispiel: Gugelot hat unter anderem das Möbelsystem M125 gestaltet. Dieses sah er als System, das aus unterschiedlichen Subsystemen besteht, die wiederum auf einzelnen Elementen aufbauen. Das ist eine sehr klassische Systemdesign-Vorstellung, die starke Bezüge in die Systemtheorie aufweist. Die Intention damals war es, Gestaltung vom Handwerk abzugrenzen und die Automation und zunehmende Industrialisierung zu nutzen. Heute hingegen wird Systemdesign – zumindest in meiner Wahrnehmung – auch so verstanden, dass Probleme systemisch bzw. ganzheitlich betrachtet werden. Der Fokus verschiebt sich dabei vom „Human-Centered-Design“ hin zu einem holistischeren Blickwinkel. Zusammengefasst: Der Begriff ist derselbe, aber das Verständnis hat sich in den letzten 60 Jahren grundlegend verändert.

Was mein Projekt mit dem Systemdesign der HfG Ulm verbindet ist, dass schon damals der Grundgedanke war, dass es in der Gestaltung Parameter gibt, die objektiv oder numerisch beschreibbar sind.

Heute hingegen wird Systemdesign – zumindest in meiner Wahrnehmung – auch so verstanden, dass Probleme systemisch bzw. ganzheitlich betrachtet werden.

Lisa

Würdest du sagen, dass das Systemdesign damals angewandter war als heute?

Simon

Bedingt – zum einen gab es ja das Bestreben an der HfG, den Gestaltungsprozess zu verwissenschaftlichen. Eine Zeit lang kamen viele Dozenten an die HfG, die ihren Ursprung in klassischen Wissenschaften hatten. Es gab die Entwicklung, dass jede Entscheidung, die GestalterInnen treffen, wissenschaftlich begründet sein sollte. Daraus entstand der Konflikt zwischen einem klassischen Designverständnis und diesem verwissenschaftlichten Ansatz. Im Lehrplan gab es zu diesem Zeitpunkt überwiegend Fächer mit wissenschaftlichem Fokus. Im Vergleich dazu würde ich mich als sehr angewandt betrachten und dementsprechend möchte ich auch meine Erkenntnisse in Anwendung bringen. Später, unter Tomás Maldonado, Abraham Moles und anderen, gab es aber auch sehr angewandte Ansätze. Hier wurden exemplarisch elektronische Geräte, beispielsweise ein Tischlüfter, in seine Einzelteile zerlegt (2). So konnte die funktionelle und strukturelle Komplexität anhand von Berechnungen bestimmt werden (1962). Diesen Versuch, die Qualität der Gestaltung in Zahlen darzustellen finde ich schon sehr spannend, sehr angewandt.

Eine Zeit lang kamen viele Dozenten an die HfG, die ihren Ursprung in klassischen Wissenschaften hatten. Es gab die Entwicklung, dass jede Entscheidung, die GestalterInnen treffen, wissenschaftlich begründet sein sollte.

Lisa

Das letzte Beispiel könnte man einfach auf Machine Learning übertragen – der Maschine Parameter für gute Gestaltung füttern und sie dann entscheiden lassen, welche Entwürfe die “besten” sind!

Simon

Genau, das ist auch schon sehr nah an meinem aktuellen Forschungsprojekt. Hier stellt sich dann die grundlegende Frage: welche Parameter gibt es und wie sind sie messbar?

Lisa

Denkst du DesignerInnen werden irgendwann durch den Vormarsch intelligenter Algorithmen komplett obsolet oder bist du eher Anhänger der Idee, dass Design und KI sich gegenseitig ergänzen werden?

Simon

Ich glaube nicht, dass die KI, so wie sie heute existiert, wirklich kreativ ist (abhängig des Verständnisses von Kreativität). Mit KI meine ich hier vor allen Dingen Machine Learning. Bei allen bisherigen Projekten, die mithilfe von KI entstanden sind, entstand das kreative Moment, aus meiner Sicht, durch das Zusammenspiel von Mensch und Machine Learning. Die Maschine für sich alleine sehe ich nicht als kreativ. Dementsprechend würde ich in diesem Zusammenhang auch nicht von einer Bedrohung durch “die KI” für uns GestalterInnen sprechen.

Wenn es um die Frage geht, welche Design-Tätigkeiten von (intelligenten) Maschinen übernommen werden können, unterscheide ich gerne zwischen dem “Routinedesign” und avanciertem Design. Das Routinedesign umfasst die gewöhnliche Designpraxis, wie beispielsweise das Ausgestalten von Produkten, während avanciertes Design, z.B. das Anwenden von Methoden, koordinierende Tätigkeiten oder ähnliches umfasst. Große Teile des Routinedesigns können sicherlich in naher Zukunft von intelligenten Systemen übernommen werden. Ein weiterer Punkt ist, dass der Designbegriff in sich so divers ist, dass ich mir nicht die eine “Design-KI“ vorstellen kann. In meinem Verständnis ist Design etwas sehr Fluides. Gestaltung übernimmt Teile anderer Disziplinen, beispielsweise Methoden, kann diese verändern oder auch einfach wieder abstoßen. Der Designtheoretiker Dr. Wolfgang Jonas spricht in diesem Zusammenhang von “Design als Parasit”.

Die Frage, welche Auswirkungen einer starke künstliche Intelligenz haben kann, bleibt offen. Aus der heutigen Sicht auf KI und Machine Learning würde ich jedoch die Frage, ob diese Technik uns GestalterInnen gefährlich werden kann, mit einem klaren „Nein“ beantworten.

Bei allen bisherigen Projekten, die mithilfe von KI entstanden sind, entstand das kreative Moment, aus meiner Sicht, durch das Zusammenspiel von Mensch und Machine Learning.

Lisa

Das Designer in Residence Stipendium hat unter anderem das Ziel, das Erbe der ehemaligen HfG Ulm in die Gegenwart zu führen, wie gehst du diese Aufgabe an?

Simon

Klar ist, ich beschäftige mich mit einer neuen Technik, um eine Frage zu beantworten, die in der heutigen Zeit angesiedelt ist. Ich beziehe mich im Projekt immer wieder auf Fragestellungen, die an der HfG Ulm diskutiert wurden. Darüber hinaus gibt es viele Verbindungen zur HfG Ulm, beispielsweise in den Designmethoden, die ich für meine Arbeit anwende.

Aktuell beschäftige ich mich aber bspw. auch damit, welche Rolle Nachhaltigkeit an der HfG Ulm spielte. Interessant dabei ist, dass der Begriff Nachhaltigkeit damals noch nicht wirklich existent war. Wenn man im HfG Archiv in Ulm, in dem zehntausende Elemente verzeichnet sind, nach diesem Stichwort sucht, bekommt man nur eine Hand voll Ergebnisse. Das heißt natürlich nicht, dass bei den Arbeiten der HfG Ulm Aspekte der Nachhaltigkeit keine Rolle spielten. Spannend finde ich dabei, wie sich die Begrifflichkeiten in den vergangenen 60 Jahren verändert haben und wie sie sich von der aktuellen Debatte um Nachhaltigkeit unterscheiden.

Interessant dabei ist, dass der Begriff Nachhaltigkeit damals noch nicht wirklich existent war. Wenn man im HfG Archiv in Ulm, in dem zehntausende Elemente verzeichnet sind, nach diesem Stichwort sucht, bekommt man nur eine Hand voll Ergebnisse.

Lisa

Deine Hypothese für deine Arbeit an der HfG Ulm ist, dass wir für das große Ziel Nachhaltigkeit die Hilfe von Computern brauchen werden. Inwiefern sollen die Computer uns dabei helfen, dieses Ziel zu erreichen?

Simon

Aus meiner Sicht als Produktgestalter nehme ich Nachhaltigkeit als ein Thema wahr, das in sich so komplex ist, dass es die menschliche Fähigkeiten übersteigt. Es gibt zwar gewisse Regeln und Regelmäßigkeiten, wir GestalterInnen verstehen diese aber nicht, oder nur in Teilen, da alles miteinander verflochten ist. Daher sehe ich hier einen sehr guten Ansatzpunkt für den Einsatz von Machine Learning. Die Technik kann hier eine Hilfestellung für GestalterInnen sein, nachhaltigere Produkte zu entwerfen.

Lisa

Bist du auch der Auffassung, dass „Human Centered Design“ überholt ist und wir uns stattdessen auf das Design von (Öko-)Systemen konzentrieren sollen?

Simon

Meiner Meinung nach ist nutzerzentrierte Gestaltung eine Grundhaltung für gute Gestaltung. Ich finde es jedoch nicht mehr zeitgemäß, alleine den Menschen ins Zentrum der Gestaltung zu stellen. Wir als GestalterInnen stehen in der Verantwortung, auch andere Faktoren miteinzubeziehen. Nachhaltigkeit ist aus meiner Sicht ein extrem wichtiger Faktor. Die Umwelt des Menschen muss bei der Gestaltung in den Fokus rücken. Das ist die grundsätzliche Haltung, die ich für das aktuelle Projekt beziehe. Natürlich muss der politische und wirtschaftliche Kontext im nächsten Schritt noch betrachtet werden, das ist aber nicht mein Fokus.

Die Umwelt des Menschen muss bei der Gestaltung in den Fokus rücken. Das ist die grundsätzliche Haltung, die ich für das aktuelle Projekt beziehe.

Lisa

Nachhaltige Lösungen existieren ja schon seit 50, 60 Jahren: Die beste nachhaltige Lösung muss von der Gesellschaft dennoch getragen werden. Unsere Einstellungen und Werte zum Thema Nachhaltigkeit müssten sich ändern. Ein großes Problem ist zudem die „tragedy of the horizon“: Wie gehst du mit dieser Problematik in deinen Ausführungen um? Könnten uns neue Technologien dabei helfen, unsere Einstellungen und Werte zu verändern?

Simon

Die Technik alleine kann unsere Werte nicht direkt beeinflussen. Aus meiner Sicht werden Werte durch Entwicklungen oder Krisen, die wir als Gesellschaft miterleben, geformt. Die Technik an sich kann mit Sicherheit Innovation fördern, sie wird jedoch nicht der entscheidende Faktor sein, der den Unterschied macht. Es kommt auf die Anwendung an oder ob durch die Technik eine Innovation entsteht, die sich gesellschaftlich niederschlägt.

Lisa

Die Projekte, die du an der HfG Ulm gestalten wirst, haben dementsprechend den Anspruch, Denkanstöße zu geben?

Simon

Auf jeden Fall. Beim Thema Nachhaltigkeit ist mir außerdem wichtig, immer den Kontext miteinzubeziehen. Wie du schon sagst, nachhaltige Produkte gibt es schon immer. Wir müssen das Thema Nachhaltigkeit systemischer betrachten als es in den vergangenen Jahrzehnten hauptsächlich der Fall war: Zu einem nachhaltigen Produkt gehört ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Gedanken wie diesen habe ich bspw. versucht in einem „Sustainable Design Manifest“ festzuhalten. Während meiner Zeit an der HfG Ulm ist eine vollständige Dokumentation mit allen wichtigen Informationen über das Projekt über meine Website (simonhettler.com/ulm) einzusehen.

Zu einem nachhaltigen Produkt gehört ein nachhaltiges Geschäftsmodell. Gedanken wie diesen habe ich bspw. versucht in einem „Sustainable Design Manifest“ festzuhalten.

Lisa

Vielen Dank für das tolle Gespräch!

Ich bin Lisa Kern

Portrait einer lachenden blonden Studentin mit roten Lippen vor weißem Hintergrund

Name: Lisa Kern

Alter: 32

Wohnort: Schwäbisch Gmünd

Beruf: Studentin im Master

Hauptcharakterzug: Geradeheraus

Lieblingsschrift: Suisse

Lieblingsfarbe: Rot

Ich bin Simon Hettler

Simon Hettler

Name: Simon Hettler

Alter: 28

Wohnort: München

Beruf: Strategischer Gestalter / Designforscher

Hauptcharakterzug: geduldig

Lieblingsschrift: Moderat

Lieblingsfarbe: Blau